Nie wieder
Erfurt III, Buchenwald
„Nie wieder“ möchte man ausrufen beim Verfolgen der Spuren in diesem dritten Kapitel im Zusammenhang mit ERFURT. Im engeren und weiteren Sinn verknüpft es sich thematisch mit den DenkNadeln während unserer vorherigen Stadterkundungstour, also mit (ausgelöschtem) jüdischem Leben. Schon wieder Konfrontation mit einer der dunkelsten Epochen unserer Geschichte, mag mancher denken. Was soll die Entfernung von der Leichtigkeit meist urlaubsmäßiger Entdeckungstouren in Stadt und Land? Die Entscheidung, dieses Kapitel zu überschlagen, liegt bei der Leserschaft.
Wer ein erstes Mal den Begriff „Topf & Söhne“ hört, denkt wohl zunächst an ein Geschäft für Küchenausstattung. Die ehemalige Fabrik befindet sich auch nicht direkt in der Altstadt von ERFURT sondern rund 2km Fußmarsch oder Busfahrt vom Anger entfernt. Mit Ausstattungen haben sich „Topf & Söhne“ allerdings auch beschäftigt. Sie gelten als die „Ofenbauer von Auschwitz“ bzw. die „Techniker der Endlösung“. Nicht nur in Auschwitz und anderen Vernichtungslagern installierten sie Krematorien, sondern wirkten auch mit am Bau von Gaskammern, gasdichten Türen und Entlüftungsanlagen. 2011 schließlich wurde auf dem Fabrikgelände das ehemalige Verwaltungsgebäude in einen Erinnerungsort umgestaltet.
Über vier Stockwerke kann sich in verschiedenen (Dauer-) Ausstellungen erinnert werden z.B. in Form von historischen Fotographien an die Brennöfen und deren Bauzeichnungen. Auf einer weiteren Etage werden die Geschäftsbeziehungen der Firma zur SS aufgezeigt. Gruselig kann es einem werden in den Räumen mit den Hunderten von Ascheurnen. So manche Sonderausstellung erweitert das Spektrum beeindruckend, wie die zum Thema „Die Mädchen von Zimmer 18 L 410, Theresienstadt“. Beim (geführten) Rundgang über das Außengelände lässt sich dann vortrefflich nachdenken über die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen hinsichtlich seiner Arbeit.
Eindringlich realistisch wird solch ein Erinnerungsort nur wenige Kilometer später auf dem Weg nach WEIMAR. Mit der Gedenkstätte BUCHENWALD auf dem Ettersberg betreten wir ein früher wahrhaftiges KZ. Menschen aus ganz Europa wurden hierhin verschleppt. Insgesamt knapp 290.000 Inhaftierte wurden an diesem Ort und in den 139 Außenlagern dem Leiden von Zwangsarbeit, Folter und Tod (56.000) unterworfen. Mahn- und Gedenkstätte zugleich – Nie wieder!
Das hinlänglich bekannte KZ-Eingangsgebäude mit dem Eisengittertor und der Inschrift „Jedem das Seine“ steigert das beklemmende Gefühl beim Betreten des weitläufigen Geländes. Menschenleer erscheint auf den ersten Blick das gesamte Areal, abseits jeglicher Besucherströme. Nur hin und wieder, quasi am Horizont, sieht man vielleicht das Rot eines Anoraks sich bewegen, eine kleine Gruppe menschlicher Wesen dahinschlendern, öffnet sich vielleicht eine Tür. Oder vermeintlich nimmt das Auge aufsteigenden Rauch aus einem hohen Schornstein wahr. Geschichten über diese Todeszone haben wir alle sicherlich bereits hinlänglich gelesen. Nun stehen wir mittendrin, vergangen zwar und doch so lebendig.
Besonders ein mehrstöckiger Wohnblock fällt zunächst ins Auge, die ehemalige Lagerverwaltung, fast am anderen Ende der schier unendlichen, abgeflachten Kuppe des Berges. Besonders markant durchbricht ein kleineres Haus mit einem riesigen Schornstein den ungestörten Blick über die Lageranlage. Gehen wir hinein in dieses einstige Zentrum der Vernichtungsmaschinerie. Als erstes stoßen wir in einem Nebenraum auf die bereits im Erinnerungsort „Topf & Söhne“ erwähnten Urnen. Gleichfalls zu Hunderten stehen sie gestapelt in dem kahlen Raum, wie darauf wartend, mit der Asche kremierter Opfer gefüllt zu werden. Nebenan in der Mitte des Hauptraumes stehen dann drei Verbrennungsöfen. Man könnte glauben, sie seien noch betriebsbereit zur Entsorgung der Ermordeten. Was in ERFURT fotomäßig „vorbereitet“ wurde, gewinnt eine Quasirealität an dieser Stätte. Hier geht man nicht einfach betrachtend hindurch, hier verharrt man in dem Gedanken „Nie wieder!“. So jedenfalls empfand es der Autor.
Fast schon befreiend wirkt demgegenüber das Erinnerungsmahnmal außerhalb des mit Stacheldraht eingezäunten Lagers. Auch wenn dieses nationale Mahnmal (noch zu DDR-Zeiten errichtet) immerhin drei Massengräber umschließt, das didaktische Konzept ist ausgewiesen als „Weg vom Tod zum Leben“ – vom Krematorium hinunter zu den Massengräbern hinauf zum Glockenturm als Symbol der Freiheit und des Lichts. Bei diesem wirklichen und inneren Weg verblasst die Zielsetzung, dass es sich eigentlich nur um „kommunistische Freiheitskämpfer“ handeln soll. Der tiefere gedankliche Weg in die symbolische und reale Freiheit erfolgt anschließend durch das unentwegte Rütteln auf der mit Kopfsteinpflaster bestückten Straße (5km) bis zum Ausgang. Es bleibt das sinnstiftende Motto „Nie wieder!“ – nicht gemünzt auf einen eventuell erneuten Besuch diese Gedenkstätte, sondern in Bezug auf diese vergangene historische Ära.
Lage:
Gedenkstätte Buchenwald: Auf dem Ettersberg bei WEIMAR
Anfahrt:
Erinnerungsort „Topf & Söhne“ Sorbenweg 7 – Ab Anger: Richtung Juri-Gagarin-Ring, Stadtring, Weimarische Straße; frühzeitig ausgeschildert; Bus Linien 1 und 5, Haltestelle Futterstraße/Stadtmuseum
Gedenkstätte Buchenwald: Ab ERFURT Richtung A4/A71 KERSPLEBEN, K03 / K312 BALLSTEDT, Abzweiger BUCHENWALD (51° 1′ 17.12″ N – 11° 14′ 56.60″ E)
Öffnunszeiten:
Erinnerungsort „Topf & Söhne“ – täglich (außer montags) 10-18 Uhr
Gedenkstätte Buchenwald – täglich (außer montags) 10-16/18 Uhr
Eintritt:
Erinnerungsort „Topf & Söhne“ – 4€ (ermäßigt 3€)
Gedenkstätte Buchenwald – frei
Websites:
Erinnerungsort „Topf & Söhne“ https://www.topfundsoehne.de/ts/de/index.html
Gedenkstätte Buchenwald – https://www.buchenwald.de/170/
Wolf Leichsenring – Travel Journalist